Feuilleton der Süddeutschen Zeitung liebt
exzellente Vermittlung. 2.Januar 2014

Ich liebe es

Von Gerhard Matzig

Das Deutsche Museum liegt wie ein gigantischer Kiesel in der Isar. München, Museumsinsel 1. Eine schöne Adresse. Aber doch: eine Insel. Etwas entrückt. Und man kann hier tatsächlich verrückt werden - besonders dann, wenn man das
Museum in diesen Tagen mit Kindern besucht, die etwas wissen wollen. Erklärungen sind gefragt. Dabei verbindet sich ein Museumsbesuch mit der Hoffnung, das Museum selbst möchte diese Bitte erfüllen. Möglichst anschaulich, anregend und, warum nicht, unterhaltsam.

In der Abteilung "Erdöl und Erdgas" des Deutschen Museumskiesel liest man seinem Kind sodann vor: "Zwei achteckige Drehkolben werden vom einströmenden Gas beaufschlagt und drehen sich in einem Gehäuse, mit dem zusammen sie ein definiertes Kammervolumen bilden." Ah ja. Da ist man noch nicht mal angekommen beim Pulver-Aufschmelzverfahren. Selbst vom Kleber-Extruder ist
man weit entfernt. Und man wird sich auch fortan von der Erdöl-und-Erdgas-Abteilung fernhalten. Keine Sekunde bedauert man, dass die Rohstoffe endlich sind. Gut daran: Das Museum spart sich künftig den Hinweis "Zum Verständnis der in der Übersichtstafel dargestellten Prozesse ist ein Grundwissen über die Rohölverarbeitung erforderlich." Das ist: eine
Bankrotterklärung.

Nach der weltweit anerkannten ICOM-Verfassung (es handelt sich um das International Council of Museums) ist ein Museum eine "ständige Einrichtung
im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die für die Öffentlichkeitwelt zugänglich ist und materielle Belege des Menschen und seiner Umwelt zum Zwecke des Studiums, der Erziehung und der Freude erwirbt, erhält, erforscht, vermittelt und ausstellt".

Vermittlung? Freude gar?

Das Deutsche Museum ist eine Insel des Wissens, ein Hort der Technikgeschichte. Einzigartig. Liebenswert. Nicht freudlos, gewiss. Man wünscht ihm nur dringend Geld und Mittel. Gerade auch die, welche man zum Vermitteln der Wissensschätze braucht. Denn das Museum ist eben auch voll mit Schautafeln und Texten, die man, sollte man nicht zufällig ein
Kleber-Extruder sein, nur als Zumutung begreifen kann. Zwischen A wie Agrartechnik, Geodäsie, Offshore-Förderung, Schmelzschweißen bis Z wie
Zupfinstrumente gibt es viel Faszinierendes im Deutschen Museum zu sehen - sehr oft steht man leider ratlos davor. Übrigens auch als Ingenieur.

Draußen dann, auf der Brücke, die das Museum mit der Innenstadt verbindet, liest man den Hinweis: "In den Ausstellungen werden neueste Aspekte der
Museumspädagogik umgesetzt." Ist das Hohn? Mitunter kommt es einem so vor. Fairerweise ist zu sagen: Das Museum befindet sich im Umbau. Die neuesten Aspekte der Museumspädagogik sind offenbar noch nicht überall angekommen.

Leider gilt das in geradezu vorsätzlicher Weise für die Glyptothek am Münchner Königsplatz. Die Sammlung antiker Skulpturen gehört schon innenräumlich zu den schönsten Museen der Welt. Im Grunde ist es ein
wunderbarer Ort, einer für Liebhaber. Wer aber etwas über den Barberinischen Faun erfahren möchte, über die lasziv-ermattete Provokation der Blöße, die
hier die häufig anzutreffenden Teilnehmer der Aktzeichnungskurse kichern lässt - der ergoogelt sich das besser mit dem Smartphone. Oder betritt das
Museum gleich in Vorkenntnis des Webauftritts oder mit Katalog unterm Arm. Die staunenswerten Skulpturen sind sinnlich erlebbar - die Wissens-vermittlung ist spröde.

Die Glyptothek verzichtet in weiten Teilen geradezu ostentativ auf die neumodische Unsitte der Didaktik, auf Medieninseln etwa, auf Interaktion oder sonstige Kniffe der Pädagogik. "Saal des Fauns" ist auf einem Schild zu lesen - und das hätte man sich beinahe auch selbst gedacht angesichts eines Saals, in dem sich ein Faun befindet. Allenfalls die Museumsinsel Hombroich in Neuss ist da noch konsequenter. Hier soll allein die Kunst für sich sprechen: Der Rest ist Schweigen. Viele Museen in Deutschland bemühen sich engagiert um ihr Publikum. Andere tun das nicht. Am Ausgang der Glyptothek liegt ein Besucherbuch. Ganz neu. Ganz leer. "Bitte", fordert die charmante Dame von der Aufsicht den Reporter auf, "schreiben Sie etwas hinein."

"Was denn?"

"Irgendetwas. Es ist so leer."

Seit wann es hier liegt, will man wissen. "Seit ein paar Tagen, seit einer Woche vielleicht." Seit einer Woche in der Vorweihnachts-, Ferien- und Zwischen-den-Jahren-Zeit. Mitten in der Rush Hour des Museumslebens. Leer.

Nie zuvor gab es in Deutschland so viele Museen wie heute. Fast 5000 sind es. Seit Jahren nimmt ihre Anzahl zu. Dazu kommen noch die boomenden
Erlebniswelten oder Science Parks. Die öffentlichen Museen erhalten also auch noch private Konkurrenz. Das kann nicht folgenlos bleiben im Werben um
Publikum.

Wobei Bayern eine der höchsten Dichten an staatlichen wie auch stattlichen Museen aufweist. Und München ist ein Hauptquartier des Kulturbetriebs. Gerade in diesen Tagen sind die Ausstellungsräume der Volks- oder Heimat-kundemuseen, der kulturgeschichtlichen, technischen, naturkundlichen oder historischen Museen gut besucht. Und in die bald siebenhundert
Kunstmuseen, die es in Deutschland gibt, pilgern gleichfalls Massen.

Zehn mal mehr Menschen (112 Millionen waren es im Jahr 2012) besuchen lieber ein Museum - als ein Bundesligastadion. Man wünschte, die Museen hätten
etwas vom Kicker-Umsatz. Oder ist die Frage der Vermittlung gar keine des Geldes, sondern auch eine des Wollens?

Das Museum: ein magischer Ort bei Thomas Bernhard ("Alte Meister"), Zufluchtsstätte für Holden Caulfield (der in "The Catcher in the Rye" bekennt: "I loved that damn museum") - oder wenigstens der "Kalvarienberg gekreuzigter Träume", weshalb das "Futuristische Manifest" 1909 forderte, man müsse die Museen als "öffentliche Schlafsäle" und "Friedhöfe" zerstören. Die Futuristen liebten es, das Museum zu hassen. Man muss solchen Unsinn
nicht teilen. Aber es stellen sich auch heute, mehr als 100 Jahre nach dem eher verstaubten Futurismus, gewisse Fragen.

Antworten erhofft man sich etwa von Rainer Wenrich, zuständig für die Geschäftsstelle der Bayerischen Museumsakademie - und zugleich tätig am MPZ,
dem Museumspädagogischen Zentrum mit Sitz in München. Hier werden Museen, wenn sie dies möchten, mit der in Deutschland (anders als etwa in den USA oder in Großbritannien) noch keineswegs überall anzutreffenden Kunst der Kulturvermittlung vertraut gemacht. Es gibt ein Bemühen. Das schon. Am Telefon bittet man Wenrich um einen Hinweis auf ein deutsches Museum, das exzellente Vermittlung leistet. Wenrich zögert . . . dann: "Kennen Sie die
Erlebniswelt in der Allianzarena?"

Nein, man kennt nicht. Der gigantische Privat-Spektakel-Fanshop in der Allianzarena im Münchner Norden? Das soll ein vorbildliches Museum sein?
Wenrich: "Mit Blick auf die Techniken des Vermittelns: absolut." Am nächsten Tag ist man mit ihm verabredet. In einem Museum, das von deutschen Museumsdirektoren womöglich nicht als Museum begriffen wird - von dem sich aber lernen ließe. Auch dann, wenn man seinem Inhalt eher befremdet gegenüberstehen sollte. Sei es als Kultur- oder Borussen-Fan.

Die FCB-Erlebniswelt ist laut und dunkel. Natürlich, denkt man, Spektakel, Aberwitz, bewegte Bilder, Lautsprecher. Schon klar. Disneyland. Auf
Augenhöhe begegnet man Franck Ribéry, Arjen Robben und Co. Sie blicken den Besucher, wohin er sich auch wenden mag, unverwandt an. Es glitzern die Pokale mit den Schalen um die Wette - und immer gibt es irgendwo ein Toooooooor. Triumph und Niederlage. Pure Emotion. Bayern München hat es
leicht gegen den Barberinischen Faun, denkt man. Darf man das vergleichen?

"Ja", sagt der Museumspädagoge. "Inhaltlich sicher nicht - aber was die Frage der Zugänglichkeit angeht, sehr wohl." Er erläutert die Techniken der Vermittlung, die hier in allen Finessen ausgebreitete Fähigkeit der Ausstellungsmacher, Atmosphäre und Emotion auch dort zu schaffen, wo es letztlich nur um Zahlen und Fakten geht. Dem Besucher werden Möglichkeiten der Interaktion geboten, die neuen Medien werden herangezogen, die Ebenen der Informationsvermittlung wechseln sich ab - und der Betrachter wird immer wieder direkt angesprochen. "Es ist eigentlich wie im Unterricht", erkärt
Wenrich, "den muss man auch spannend gestalten, um Erfolg als Lehrer zu haben." Man begreift den Erfolg einer solchen Form museumspädagogischer
Vermittlung auch abseits der hier natürlich ebenfalls anzutreffenden Disneyfizierung und fragt sich, warum Analoges nicht auch in den hehren Gefilden der Kultur möglich sein soll.

Anschaulich gelingt das im erst vor einem halben Jahr eröffneten, räumlich wunderbar suggestiven Ägyptischen Museum an der Gabelsbergerstraße. Hier
kommt man an die Richtige, an Sylvia Schoske, eine bekannte Ägyptologin. Sie ist seit 1989 Direktorin des Museums. Schoske weist in ihrem Büro, in dem
man einer Playmobil-Pyramide aus Plastik begegnet und gut die Glyptothek schräg gegenüber ins Visier nehmen kann, auf die Grenzen der Vermittlungskunst hin. Sie weiß, wovon sie spricht, denn im Bereich der
Museumspädagogik gehört sie zu den aufgeschlossenen Pionieren in Deutschland.

"Einerseits sind wir Dienstleister", sagt sie, "und natürlich ist es ein Anliegen, unser Wissen auf anregende, anschauliche Weise zu vermitteln." Was
ihr an der Gabelsbergerstraße auch in vielfältiger Weise gelingt. Andererseits? "Keine Replik. Kein Plastik. Kein Disneyland. Kein Kitschikatschi." Also genau das, was eine Ägyptische Abteilung in einem
amerikanischen Museum so unvergesslich macht? Deshalb gibt es in München auch nichts zu den Pyramiden?

"Genau." Es ist eine Frage der Balance. Das neue Ägyptische Museum bewältigt diese Balance. Bis hin zum Museumsshop, in dem ein Junge in einem Shirt mit der Aufschrift "Skater" doch noch nach den Pyramiden greift. Er zögert, legt sie zurück, betrachtet sie erneut . . . um sie aufzugeben. "Boah", sagt er, "teuer." Die Pyramiden haben ihren Preis. Sie bestehen nicht aus Kalkstein, sondern aus Schokolade. Im Museumsshop kostet die "Pyramidenpralinenmischung" 7,90 Euro. Nichts für Skater, der seiner Klasse hinterhertrottet, der 6 A vom Joseph-Bernhart-Gymnasium in Türkheim. Zehn
Minuten später fahren die Schüler nach Hause ins Unterallgäu.

Enttäuscht? Nein.

Pyramidenlos? Das auf jeden Fall.