Kurt Ranger


Amerika, hast Du es besser?  Können deutsche Museumsleute von ihren US-Kollegen lernen?

Washington, die Hauptstadt der Vereinigten Staaten von Amerika im District Columbia, ist eine an Symbolen reiche Stadt. Ihre Gründung war selbst ein symbolischer Akt. Errichtet wurde die Hauptstadt etwa auf einem Breitengrad, der das unfertige Staatsgebilde – es reichte damals von der Ostküste bis an den Mississippi– einigermaßen exakt in eine Nord- und eine Südhälfte teilte. Schon damals entstand die Idee einer Stadtachse, einer Magistrale, die als „National Mall” zum Symbol der Demokratie wurde: Ans westliche Ende der Anlage, direkt an den Potomac River, setzte man ein Gebäude in Gestalt eines griechischen Tempels, das dem Gedenken an den Präsidenten Abraham Lincoln gewidmet ist. Lincoln blickt auf einen 168 m hohen Obelisken, der seinerseits an Georg Washington, den ersten Präsidenten der USA erinnert. Einen weiteren Akzent im städtebaulichen Ensemble setzt das Capitol, Sitz des Kongresses und des Senats. An die Seite gerückt und zurückgesetzt liegt das Weiße Haus, Residenz des Präsidenten. Nicht weit das Jefferson Memorial, dem Pantheon in Rom nachempfunden und dem dritten Präsidenten der USA gewidmet.

Von den Gedenkbauten zu den Museen an der Mall ist es ein kurzer Weg. Ein einzigartiges Ensemble bilden die Museen der Smithsonian-Stiftung: unter anderem das Luft- und Raumfahrtmuseum, das Museum für Naturgeschichte, das Nationalmuseum für Amerikanische Geschichte; des Weiteren die Freer Gallery of Art, das Hirshhorn Museum mit seinem Skulpturengarten – insgesamt 13 Museen befinden sich direkt oder in der Nähe der National Mall (www.si.edu/museums/). Weitere Museen sind unter anderem die National Gallery of Art (www.nga.gov) und das Holocaust Museum (www.ushmm.org). Alle diese großen Museen Washingtons erheben keine Eintrittsgelder. Entsprechend groß ist der Andrang: Allein die Smithsonian-Museen haben über 12 Millionen Kunden, deren Besuche sich jährlich auf rund 41 Millionen addieren. Einladend sind die Museen schon durch ihre großzügige architektonische Anlage – sie bieten nicht nur viel Raum für Ausstellungen, sondern auch für Cafés, für Restaurants und Läden. Da ein wesentlicher Teil ihrer Betriebskosten mit dem Verkauf von Büchern und Produkten erwirtschaftet wird, reicht die attraktive Angebotspalette vom Modeartikel bis zu Spielzeug in allen Preislagen. Das Büchersortiment der National Gallery of Art für Kunstbücher übertrifft bei weitem das Angebot einer großen städtischen Buchhandlung einer deutschen Großstadt. Das Angebot deutscher Museen wirkt im Vergleich dazu geradezu spärlich. Häufig werden Shops mit thematisch zugespitzten Angebotsschwerpunkten nahe den entsprechenden Ausstellungen platziert. Die Möglichkeit, etwa auch innerhalb eines Ausstellungsparcours eine Erfrischungspause in einem Café einzulegen, erhöht die Verweildauer in den amerikanischen Museen. Das ist gerade für Familien mit Kindern von Bedeutung. Fast alle großen Museen sind so angelegt, dass es einfach Spaß macht, sich dort länger aufzuhalten. Die Ruhezonen sind Teil des Konzepts. In der National Gallery of Art plätschert ruhige Jazzmusik als angenehme Hintergrundmusik durch das Foyer. Auch Kinos und Säle für Vorträge und Konzerte gehören zur Infrastruktur. Manch ein Museum bietet sogar ein eigenes Kinoprogramm mit thematischen Filmen an. 3-D-Kinos gehören in den naturkundlichen Museen oder im Luft- und Raumfahrt-Museum zur Grundausstattung.

Ein vergleichender Blick aus deutscher Perspektive richtet sich heutzutage überwiegend auf die Finanzierungsmodelle amerikanischer Museen: Angesichts der prekären finanziellen Situation vieler deutscher Museen ist es kein Wunder, dass sich zahlreiche Fachleute neue Impulse, vielleicht sogar Patentrezepte für ihre eigene Museumsarbeit erhoffen. Viele deutsche Museen sind seit einiger Zeit gezwungen, die Kosten des laufenden Betriebes intensiver aus anderen als den öffentlichen Zuwendungen aufzubringen: durch Eintrittsgelder, durch Sponsoren und Spender und aus Erlösen durch Vermietung und anderen Quellen. Aber auch in Amerika gibt es eine Wirtschaftskrise. Niedrige Zinsen und Börsenverluste haben auch hier die Einnahmen der Stiftungen stark reduziert. Die ca. 12.000 amerikanischen Museen (zum Vergleich: allein in Baden-Württemberg gibt es 1.200 Museen!) unterscheiden sich in ihrer Grundfinanzierung entscheidend von den überwiegend staatlich oder kommunal finanzierten deutschen Museen. Wenn es in den USA auch viele Varianten gibt, so ist doch exemplarisch, dass die Smithsonian-Museen in Washington und die National-Gallery of Art etwa 50 Prozent der Betriebskosten durch eigene Einnahmen decken; ein Drittel wird durch die Verzinsung des Stiftungskapitals gedeckt, ein weiterer Teil wird durch finanzielle Zuwendungen von Sponsoren und von Spendern finanziert. Das setzt bei Neugründungen einen langen Atem voraus, bis die nötigen Millionen von Dollars gesammelt sind. „Think big” ist das Motto. Mit Schmalspur-Konzepten gibt man sich in den USA ungern zufrieden.

Die amerikanischen Museen sehen ihre Besucher als Klienten: als intelligente, aber mit geringen Vorkenntnissen (zum jeweiligen Thema) belastete Menschen. Daraus leiten sie aber keinen direkten Bildungsauftrag ab, sondern legen eher Wert darauf, die Besucher unterhaltsam zu informieren. Auf die Einbindung in das bürgerliche Gemeinwesen wird großer Wert gelegt. Entsprechend wird das Museum als gesellschaftliches Zentrum in einer sich immer mehr aufsplitternden Welt definiert. Das spiegelt sich auch in der Besucherstruktur wider: Nur zwei von zehn Besuchern kommen als Einzelbesucher, die Mehrzahl in Gruppen oder im Familienverbund. Ein Blick auf das Strukturdiagramm der National Gallery zeigt, wie genau hier die verschiedenen Zielgruppen erfasst und analysiert werden. Eine eigene Abteilung kümmert sich um Kunstinformationen für Erwachsene, eine andere um akademische Programme, eine dritte Abteilung ist zuständig für Lehrer-, Schul- und Familienprogramme. Man ist bemüht, jeder Zielgruppe gerecht zu werden. Das Personal für Führungen – hier Dozenten genannt – wird sehr sorgfältig ausgebildet. Es gibt Dozenten aus verschiedenen Altersgruppen, Jugendliche sind dabei und Senioren. Erstaunlich sind die Detailkenntnisse und die hohe Motivation dieser Dozenten, die im Laufe ihrer Tätigkeit auch ein immenses Fachwissen um die Vermittlung ihrer Inhalte erwerben. Es gibt Senioren, die seit Jahren ehrenamtlich durch die Museen führen. Das Holocaust Museum betrachtet das Internet als „zweites Tor” in das Museum. Es stellt Ausstellungen ins Internet, die es nur dort gibt. Darüber hinaus ist das Internet für das Holocaust Museum eine riesige Datenbank und Teil der Dokumentation. Die National Gallery wiederum bietet viertelstündige Kurse im Internet zu bestimmten Themen an – und stellt mit Befriedigung fest, dass diese Kurse häufig in Schulen genutzt werden. Audiophone Führungen in den Häusern werden aktiv beworben. Für Kinder werden spezielle Hörführungen angeboten, was hervorragend aufgenommen wird. Der Autor dieses Artikels hat bereits vor Jahren versucht, ein solches Konzept in einem deutschen Museum durchzusetzen – vergeblich. Das Chicago Art Museum (www.artic.edu) bietet für die schwer zu erreichende Zielgruppe der Berufstätigen im Alter von 20 bis 40 Jahren an bestimmten Abenden für 10 Dollar Eintritt Vorträge und Jazzmusik. Diese Abende werden hinter vorgehaltener Hand als gute Gelegenheit zur Anbahnung von Partnerbeziehungen bezeichnet. Der Zuspruch ist groß.

Sicherlich bemühen sich führende deutsche Museen auch sehr detailliert und engagiert um ihre Besucher. Nur gewinnt der sach- und fachkundige Besucher in den USA den Eindruck, als ob hier vieles großzügiger, kompetenter und konsequenter als Gesamtkonzept umgesetzt würde: vom Konzept über das Design bis zum Marketing. An deutschen Museen gibt es solche strategischen Ansätze nur selten. Die meisten Besucher amerikanischer Museen kommen aus dem Mittelstand. Das Holocaust Museum hat in Kenntnis dieser Tatsache (und um das Spektrum der Zielgruppen zu erweitern) ein sehr kluges Konzept entwickelt: Es lässt Führungen von jungen Leuten aus diversen Randgruppen der Gesellschaft für „ihre” jeweilige Klientel durchführen – oder auch für ihre natürlichen Gegenspieler. So kann es passieren, dass Gruppen von Polizisten von einer Person geführt werden, die kraft ihrer Milieuzugehörigkeit im Fokus polizeilicher Maßnahmen steht. Laut einer Verwaltungsvorschrift müssen zum Beispiel alle Polizisten der Hauptstadt das Holocaust Museum besuchen. Ziel ist, den Besuchern einen bleibenden Eindruck und die Erfahrung der Unterdrückung einer Minderheit zu vermitteln.

Das amerikanische Steuersystem fördert die Schenkung von Kunstwerken an die Museen. Die National Gallery of Art ist ein großes Kunstmuseum mit herausragenden Kunstwerken. Nach Aussage des stellvertretenden Direktors hat die National Gallery für ihre klassische Sammlung aber noch nie ein Kunstwerk mit eigenen Mitteln gekauft. Wie funktioniert das? Beispiel: Angenommen, ein Sammler hat vor 30 Jahren einen Picasso für 10.000 Dollar gekauft, der heute einen Marktwert von 5 Millionen hat. Schenkt er dieses Werk einem amerikanischen Museum, so erwirbt er dafür den Anspruch auf einen Steuerabzug in Höhe dieses Betrags. Kein Wunder, dass die amerikanischen Museen durch diese steuerlichen Vergünstigungen zu einem überreichen Sammlungsbestand kommen. Um ein Museum erfolgreich zu betreiben, bedarf es nicht nur eines erfolgreichen Marketings. Es kommt auch und sehr stark auf die Aufbereitung der Themen und Sammlungen an. Können die deutschen Ausstellungsgestalter von den amerikanischen Kollegen lernen, oder haben die Amerikaner hier Defizite? Ja und nein. In den klassischen Kunstmuseen sind die Präsentationsformen ziemlich identisch. Bei naturwissenschaftlichen Fragen, etwa der Evolutionsgeschichte der Erde oder kosmologischen Themen, kommt den US-Museen aber ihr klareres didaktisches Konzept zugute. Auch verstehen sie es geschickt, mit dem Medium Film zu arbeiten. Beliebt sind Kurzfilme als Einführung oder Zusammenfassung; diese sind meist sehr informativ und zugleich humorvoll und anschaulich konzipiert. Mit der Ausstellung von Geschichte tun sich die Amerikaner dagegen schwer. Das Museum of American History leidet unter anderem darunter, dass einige Abteilungen schon 40 Jahre alt sind. Merkwürdigerweise wirken aber neuere Ausstellungen ebenso antiquiert.

Gestalterisch sind die historischen Museen teilweise sehr einfallslos konzipiert. Massen von Exponaten werden häufig in langweilige Vitrinenansammlungen abgefüllt. Einzige Ausnahme ist das United States Holocaust Memorial Museum, das in einem gekonnten Mix aus Objekten, fotodokumentarischem Material, von Filmen, Hörcollagen, Modellen, Inszenierungen und Installationen aus einem Guss bis hin zur Architektur wirkt. Dennoch wirkt auch dieses Museum nach zehn Jahren überholungsbedürftig. Vielleicht ist es die durchgängige Düsternis der Gestaltung, die sich auch durch eine aktuelle Sonderausstellung über Anne Frank zieht? Nach deutschem Arbeitsverständnis von Museumsarbeit irritiert die „Amerikanisierung” von Anne Franks Tagebüchern: Sie liegen als handschriftliche Imitate in englischer Sprache in Vitrinen. Anne Frank schrieb aber nur in ihrer Muttersprache.

Wenn die amerikanischen Museen Pluspunkte sammeln, dann immer, wenn es um die direkte Besucherorientierung geht: seien es beispielsweise Informationsebenen speziell für Kinder, die mit interessanten Fragen und Antworten auch Erwachsene zum Nachdenken animieren: Warum verbrennt ein Wüstenfuchs nicht seine Pfoten im heißen Sand? Was haben alle Säugetiere gemeinsam? Oder wie funktioniert die Evolution? Weiteres Beispiel: Die zehnminütige Animation einer Weltkarte markiert durch Punkte verschiedener Größe alle größeren Erdbeben und Vulkanausbrüche der letzten 30 Jahre. Die Punkte bleiben auf der Animation stehen, sodass ein immer dichteres Netz von Linien entsteht. Im letzten Bild gefriert das Gesamtbild: Sichtbar werden die plattentektonischen Bruchkanten der Kontinente, denn nur dort gibt es Erdbeben und Vulkanausbrüche.

Die amerikanischen Museen wurden überwiegend für die Öffentlichkeit gegründet. Viele deutsche Museumsinstitute entwickelten sich aus Archiven: Sie waren ursprünglich als Verwahrer und Pfleger großer Sammlungen gedacht. Mit der unterschiedlichen Genese der Museen verbindet sich jeweils eine spezifische, strukturell andere Art des Denkens.

So gesehen sind die amerikanischer Museen vom Ansatz her näher an ihrem Zielpublikum als viele deutsche Museen. Doch die deutsche Museumslandschaft ist im Umbruch: Es ist Zeit für ganzheitliche Konzepte, Strategien und Profile. Patentrezepte gibt es in Amerika nicht, aber viele Bausteine, mit denen erfolgreich gearbeitet werden kann.