Kurt Ranger


Die Gene der Oldtimer – zum Comeback der Maybachs und Bugattis

Es brabbelt und grummelt. Dort dumpfes, blechernes Dröhnen. Anderswo ein jaulendes Aufkreischen. Hysterisch vibrierende Obertöne, begleitet vom Rasseln mechanischer Kleinteile. Und dann erstirbt abrupt der ganze Lärm. Es knistert. Bläuliche Abgase hängen in der Luft, der Geruch von halbverbranntem Benzin und Öl.
Was den einen Krach und Gestank, ist den anderen Musik und Parfüm. Was war? Der Fahrer eines Ferrari 250 TR, Baujahr 1957, hat den 12-Zylinder-Motor seines Boliden abgestellt. Auch still zeigt das alte Rennfahrzeug Wirkung. Die skulpturhaft runde Formensprache der Ferrari Carozzeria zieht viele Betrachter an: Im Nu hat sich eine Traube von Fans automobiler Kultur und Technik-geschichte um das Rennfahrzeug geschart. Kameras werden gezückt, das Fahrzeug wird von vorne, hinten, der Seite, in allen Details vom Markenzeichen über den Armaturenträger bis zum Auspuff auf Film und digital gespeichert. Nicht abzubilden ist die wilde Geruchsmischung von flüssigen Ölen, Gummi, altem Leder und Benzin.

Die „Mille Miglia”, der vielleicht berühmteste Oldtimer-Corso, zieht alljährlich viele tausend Besucher an. Dieses Jahr fuhren 375 historische Fahrzeuge mit. 600 Bewerbern wurde die Teilnahme verwehrt; auch sie wären bereit gewesen, das Startgeld von ca. 3000 Euro zu bezahlen. Die meisten Fahrzeuge befinden sich im Privatbesitz. Einige wenige werden von Automobilmuseen zur Verfügung gestellt; mancher Prominenter hat dann das Privileg, selbst am Steuer eines solchen Sportwagens mitfahren zu dürfen.

Historische Rennen, Rallys und Corsos haben Konjunktur. Sie werden als touristische Events vermarktet. Auch in Stuttgart soll -– so die Idee einiger Privatleute -– das alte Solitude-Rennen als Oldtimer-Event wieder auferstehen. Merkwürdig eigentlich, wie wenig die Region Stuttgart – die ja von der Auto-industrie lebt – für die Pflege der damit verbundenen Industriegeschichte und Technikkultur unternimmt. Neben dem Mercedes-Museum (demnächst in neuer Architektur und hoffentlich spannenderer Konzeption) und dem dürftig ausgestatteten Porsche-Museum gibt es in Stuttgart wenig Angebote zu diesem Thema. Dabei wäre es, abgesehen von einer intelligenten Präsentation legendärer Fahrzeuge, die mit diesen verbundene Ideengeschichte, die es verdient hätte, ausgestellt und damit ins öffentliche Bewußtsein gerückt zu werden.
Die Autoindustrie lebt nämlich wie keine andere seit über 100 Jahren vom Drang zu Innovationen und ihrer Umsetzung in die Praxis. Aus der Region Stuttgart kommen jährlich die meisten Patentanmeldungen und eingetragenen Patente in Deutschland. Woher, wenn nicht aus dem Umfeld der Autoindustrie? Weiß man noch, mit welchen Widerständen Gottlieb Daimler aus Cannstatt und Karl Benz aus Mannheim bei ihren Erfindungen zu kämpfen hatten: dem motorbetriebenen Laufrad und dem ersten, mehrere Passagiere tragenden Dreirad? Ihre Erfindungen waren mehr als Tüfftelei, sie haben die Welt verändert.

Aber die Erfindung des Automobils geht ständig weiter. Deshalb müßten auch die Automuseen hier Werkstätten des Erfindungsgeistes sein: Orte, die über das Geschichtliche hinaus auch technische Entwicklungen skizzieren, gar Zukunft vorwegnehmen: einerseits im Sinne einer künftigen Kultur der Mobilität, andererseits aber auch unter wirtschaftskulturellen Aspekten. Gemeint sind damit etwa die Markenkulturen rund um das Automobil, Fragen des Designs oder der zunehmenden Elektronisierung und Vernetzung von Fahrzeugen.

Mit jedem Produktionsjahr wächst die Zahl potentieller Oldtimer. Für die Zulassung gilt ein Auto ab einem Alter von 20 Jahren als Oldie. Seltenen Typen der Autogeschichte werden als Raritäten gehandelt. 2,5 Millionen Dollar für einen historischen Ferrari sind durchaus drin, auch wenn die Preise zur Zeit etwas sinken. Etwa 30.000 Euro müssen für einen Austin Healey bezahlt werden. Doch Vorsicht ist geboten. Was ist echt an einem Oldtimer, der vom Fahrwerk aufwärts komplett neu aufgebaut wurde? Letzten Endes sind es das Typenschild mit Fahrgestellnummer und eine makellose, lückenlos dokumentierte Provenienz oder gar verbürgte Renneinsätze, welche die Echtheit eines Oldtimers garantieren. Bei alten Ferarris gilt es besonders aufzupassen: Es heißt, es seien mehr Ferraris im Umlauf als jemals gebaut wurden. Bei Preisen über der Millionengrenze ist ein kompletter Nachbau finanziell ein einträgliches Geschäft – auch dann, wenn er offiziell als Replik ausgewiesen ist. So wird der legendäre Jaguar E-Type aus dem Jahr 1961 von einer englischen Firma nachgebaut; die Replik fährt sich besser als das Original, da rund 40 Jahre technischer Fortschritt „eingebaut” sind. Den eingefleischten Liebhabern automobiler Geschichte gelten solche Kopien allerdings nicht viel. Sie schätzen das Original, mit weitgehend erhaltener Substanz, Patina, stumpfem Lack, abgeschabtem Leder und dem Geruch ranzigen Öls.

Was bewegt die Besitzer solcher Raritäten, jene bei Rallyes in manchmal halsbrecherischer Fahrt aufs Spiel zu setzen? Kaum der Besitzerstolz, vielmehr wohl die Lust, diese alten Maschinen wieder zum Leben zu erwecken – ein Leben, von dem die stillgelegten Stücke im Automuseum nur wenig erzählen.

Tatsächlich ist das Auto nach wie vor ein emotional aufgeladenes Objekt. Historische Fahrzeuge illustrieren in ihrer Konstruktion und Form die Entwicklung der automobilen Technik wie auch den Wandel ihrer Verwendungs-weisen sehr deutlich. Aus pferdekutschenähnlichen Gebilden wurden im Laufe weniger Jahre eigenständige Gebilde. Typisch für diese Zeit sind lange Motor-hauben mit noch längeren, deutlich sichtbaren Auspuffrohren. Zwei oder maximal vier Sitzplätze, meist offen, sind über Trittbretter zu erklimmen, die nach vorne und hinten als Kotflügel über die Räder geführt werden; und der Kot – er lag damals noch reichlich auf den Straßen.
Gepäck wurde seitlich oder hinten aufgebunden, Ersatzreifen ebenfalls. Der Kühler wurde zum Erkennungszeichen der Marke. Bekannte, noch heute bei Rallys gefahren Marken der zwanziger und dreißiger Jahre sind Bugatti, Mercedes-Benz, Alfa Romeo, Bentley, Lancia, Aston Martin, Fiat, BMW und Jaguar.

Die britischen Hersteller waren einst Trendsetter des Automobilbaus, besonders die Sportmarke Jaguar konnte über Jahrzehnte hinweg einen Spitzenplatz behaupten. Nach dem legendären XK konnte Jaguar noch 1961 den E-Type präsentieren, der lange Jahre, allerdings mit deutlichen Verschlechterungen des Designs bis 1975 gebaut wurde. Danach verblaßte der Mythos Jaguar. Erst in den letzten Jahren gelang es der Marke, mit neuen Produkten an die alte Zeit anzuknüpfen.

Namen wie wie Healey, Riley, Triumph und Lagonda gehören neben anderen der Vergangenheit an. BMC, die riesige British Motor Corporation, verstand es nicht, diese Kultmarken am Leben zu erhalten. Heute werden die entsprechenden Altfahrzeuge von ambitionierten Clubs und Privatleuten gepflegt. Vor rund zehn Jahren gelang Mazda mit seinem MX ein sehr erfolgreicher Remake des Typus britischer Roadster. Als Antwort auf eine ganzen Flut sportlicher Studien und Show-Cars konzipierte Porsche seinen Boxster. Dabei wurde ein Problem des heutigen Automobilbaus sichtbar: Auch sportliche Autos brauchen heute ein größeres Volumen als ihre hübsch kompakten Vorgänger, weil sie viel mehr Technik mit sich herumschleppen: Servounterstützungen, diverse Motorvarianten, Automatikgetriebe, Klimaanlagen und, für die passive Sicherheit, größere Knautschzonen. Eigentlich wird der Typ des leichten kompakten britischen Roadsters heute nur durch den extremen Lotus Elise als Nischenprodukt vertreten.

Sportlich sehr erfolgreich war Alfa Romeo. Mit Enzo Ferraris Idee, einen professionellen Rennstall zu gründen, entstand die Scuderia Ferrari; die Fahrzeuge im Rennstall, allesamt Alfa Romeos, trugen damals als Wappentier ein schwarzes springendes Pferd auf gelbem Grund, daneben die Initialen S und F. Der Legende nach soll Ferrari auf einem abgestürzten deutschen Militärflieger das Stuttgarter Wappen entdeckt und übernommen haben. Ferrari hatte so großen Erfolg, daß er begann, eigene Fahrzeuge zu bauen – der Mythos Ferrari entstand.

Seit den fünfziger Jahren baute Ferrari die Traumwagen schlechthin. Die Formensprache dieser Zeit war nicht sonderlich markenorientiert; sie folgte einfach dem Zeitgeist und den Vorlieben der Karosserieschneider Pininfarina, Bertone, Zagato, Ghia, Vignale und anderen. Weiche, schwellende, fast erotisch anmutende Formen machten zeitweise das Design von Jaguar, Ferrari, Maserati austauschbar.
Die Kunst des Karosseriebaus war auf einem Höhepunkt angelangt, obwohl diese Fahrzeuge nicht von Designern im heutigen Sinn gestaltet wurden. Vielleicht war es aber gerade die Handwerkskunst der Karosseriebauer, der Techniker und Ingenieure, die zu diesen Höhen des Automobilbaus führte. Auf überflüssige Details und Kanten im Blechkleid wurde weitgehend verzichtet, die Formen wirken organisch kraftvoll und auf das Wesentliche reduziert. Auch der Mercedes 300SL, der 2-Flügeltürer, ist solch ein Meilenstein der Fahrzeug-gestaltung, entworfen von Karl Wilfert und Friedrich Geiger. Er kostete 1954 rund 29.000 Mark, soviel wie ein Einfamilienhaus. 1.400 Exemplare wurden gebaut.

Mercedes-Benz und Ferrari sind erfolgreiche, lebendige Marken. Aber wer kennt noch die einst bekannten Namen wie Allard, Amilcar, Bandini, Borgwart, Cisitalia, Derby, Ermini, FrazerNash, Gilco, Glas, Hwm, Invicta, Jowett, Lagonda, Messerschmitt, Moretti, Nardi Danese, OM, Osca, Panhard, Pegaso, Talbot, Veritas und viele andere? In der Autoindustrie steht die Neuauflage alter renommierter Marken an. Damit stellt sich die Frage, ob diese Absichten Aussicht auf Erfolg haben. Ist die Automobilgeschichte ein Steinbruch für Neuschöpfungen?

DaimlerChrysler reanimiert die Marke Maybach mit einer Luxuskarrosse (Preis ab 310.000 Euro aufwärts) für den internationalen Markt. Wilhelm Maybach war ein Weggefährte Gottlieb Daimlers, der sich 1909 selbständig machte. Nach dem ersten Weltkrieg entstanden unter dem Markenzeichen MM automobile Kunstwerke. Bis 1941 wurden ca. 1.800 Maybachs hergestellt; dann war die Marke am Ende.
Der neue Maybach aus der Mercedes-Entwicklung zielt auf das oberste Segment des Marktes, wo bisher Rolls-Royce und Bentley den Ton angaben. Der Absatzmarkt in dieser Kategorie wird weltweit auf ca. 8.500 Fahrzeuge pro Jahr geschätzt. Nun ist der Name Maybach auf dem Weltmarkt nicht bekannt. Daher muß der alte neue Markenauftritt groß in Szene gesetzt werden. Demnächst soll ein Maybach in einer gläsernen Kiste auf dem Dampfer „Elizabeth II” in die USA geschippert werden.

Der Volkswagen-Konzern versucht seit einigen Jahren durch Markenzukäufe das schon in seinem Namen mitschwingende Image des Massenproduzenten zu überwinden. VW übernahm in England das Rolls-Royce Werk (ohne die Markenrechte, die nun bei BMW liegen) und die Marke Bentley. Bentley-Fahrzeuge waren bisher weitgehend identisch mit Rolls-Royce-Kaleschen, nur Details der Ausstattung variierten. Bentley lebt jetzt richtig auf: Gerade bekam Königin Elizabeth II. zu ihrem 50. Thronjubiläum einen speziell für Ihre Majestät entworfenen und gefertigten Bentley geschenkt. Wie das neue Serienprodukt aussehen wird, ist noch nicht bekannt.

Bugatti, nun auch unter dem Dach von VW, dürfte die schwierigste Reanimation werden. Bugatti-Rennwagen siegten fast drei Jahrzehnte lang auf Europas berühmtesten Rennstrecken. Die sündhaft teuren zivilen Versionen wurden vor allem wegen ihrer eleganten Karosserie bewundert. Mit dem 2. Weltkrieg endete die Erfolgsgeschichte; im elsässischen Molsheim nahm man in den fünfziger Jahren die Produktion auf, doch Bugatti ging das Kapital aus.
VW versucht jetzt, mit einem neuen Bugatti der Superlative an die alte Exklusivität anzuknüpfen: 18 Zylinder, 1001 PS und eine Spitzengeschwindigkeit von mehr als 400 km/h sollen beeindrucken. Entscheidend dürfte sein, ob die Ingenieure und Designer unter dem Dach von VW in der Lage sind, nicht nur ein Fahrzeug mit dem Namen Bugatti zu bauen, sondern auch den „Geist” eines Bugatti zu verleihen.

Der Automobilbau heute folgt streng der Logik standardisierter Materialien, Komponenten und „Plattformen”. Daher rührt die strukturelle Ähnlichkeit vieler Fahrzeugtypen und Marken. Wie würde Ettore Bugatti unter den heutigen Bedingungen Autos der Superlative bauen? Nur wenn es gelänge, gleichsam aus den „Genen” der Marke ein neues, zeitgemäßes Produkt mit adäquatem Design zu (re-)konstruieren, ließe sich der Mythos fortschreiben, fänden die neuen Bugattis zu ihrer Zielgruppe.

Machen wir ein Gedankenexperiment – versuchen wir, aus den vielen Prototypen und den 8.000 Original-Bugattis die entscheidenden „Chromosomen” zu isolieren! In den späten zwanziger und dreißiger Jahren stand der Name Bugatti für Avantgarde und Vollbluttechnik. Bugatti sagte 1927: „Meine Rennwagen sind Serienmodelle, genauso wie meine Sportwagen. Sogar die Tourenwagen haben Motoren und Mechanik mit den Rennwagen gemein, gefertigt aus gleichen Werkstoffen und montiert von den selben Facharbeitern.”
Was 1927 galt, kann so heute nicht mehr funktionieren. Ein Formel-1-Rennwagen hat heute um 700 oder 800 PS und verbraucht im Rennbetrieb ca. 170 Liter speziell gemixten Kraftstoff pro 100 Kilometer. Im Leerlauf – etwa bei einer Rennunterbrechung – beginnt so ein Motor zu kochen. Außerdem ist Tempo immer noch ein Faszinosum, aber im heutigen Verkehrsalltag eher ein theoretischer Wettbewerbsvorteil. Schon Mittelklassewagen können ihr Potential kaum noch auf die Straße bringen.

Technische Innovation als Mittel der Markenprofilierung? Die spielt sich im modernen Automobilbau fast ausschließlich im Bereich der Elektronik ab. Der Kostenanteil der Elektronikbauteile an der Herstellung von Luxusfahrzeugen bewegt sich heute auf 40 Prozent zu, Tendenz steigend. Und Elektronik läßt sich nur bedingt in Szene setzen; sie greift unauffällig in die Motorsteuerung ein, verändert das Fahrverhalten und die Federung der Autos, stabilisiert und „denkt” beim Bremsen mit. Das funktioniert bei einem Mercedes der A-Klasse genauso wie bei einem Bentley.

Bleibt also – neben dem „Prestige” einer Marke – eigentlich nur noch das Autodesign. Wie würde Bugatti heute einen Bugatti entwerfen? Zunächst wohl aus dem Geist der Maschine und ihrer Mechanik heraus und weniger orientiert an herrschenden Trends des Karosserie-Stylings. Ein Bugatti würde wohl auch heute entsprechend den Gesetzen der Aerodynamik gebaut – Flügel als stabilisierende Hilfsmittel wären verpönt. Schon die Form des Autos müßte deren Funktionen erfüllen.
Ein Bugatti wäre ein auf Fahrdynamik ausgerichtetes Auto; wohl komfortabel, aber nicht zu sehr. Sein Design wäre skulptural und schwungvoll, aber trotzdem diszipliniert. Bugatti-Proportionen wären auch heute extrem – extrem in der Länge oder extrem schmal, Limousinen wären eher bullig und hoch gebaut. Bugattis Markenzeichen wäre ein oben oval geformter Kühlergrill. Die Karosserie würde scheinbar atmen, durch viele in Reihen gesetzte, ausgestanzte Öffnungen. Dabei dürften diese „Kiemen” der Karosse nicht als Dekor wirken, sondern streng funktional. Entgegen allen Trends zu karosseriefarben lackierten Front- oder Heckpartien in Kunststoff hätte Bugatti echte Stoßstangen.
Im Inneren sollte Bugatti klassisch sein, ohne Designermätzchen: asketisch die Flächen, Lineamente und Armaturen; nobel, aber authentisch der Materialmix und seine stoffliche Anmutung.

Wie auch immer – Bugatti wäre gewissermaßen Whiskey pur. Und das Prestige? Zu dessen Pflege müßte die Marke wohl die Herausforderung des Rennsports annehmen und versuchen, an glorreiche Zeiten anzuknüpfen. Natürlich an die Formel 1. Das wäre teuer, extrem teuer. Unnötiger Luxus aber eben deshalb auch Bugatti-typisch. Und eine Garantie für spätere Erfolge auf dem Oldtimermarkt.