1848 nicht imitieren

Revolution im Museum: Anmerkungen zum Ausstellungsdesign

Die Landesausstellung „1848/49. Revolution der deutschen Demokraten in Baden" im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe ist im Spiegel der Presse ein vielbeachtetes und diskutiertes Projekt, das auch wegen seiner Gestaltung zu sehr unterschiedlichen Meinungsäußerungen führte. Die „Esslinger Zeitung" meint, „... daß sich Revolutionsgeister nun einmal höchst widerwillig hinter museales Vitrinenglas verbannen lassen, diese Erkenntnis hat ... zu einer höchst originellen Inszenierung der Geschichte geführt. Wohl selten ist Geschichte so unkonventionell, hautnah erfahrbar gemacht worden ... Die Revolution hat in Karlsruhe, wenn man so will, zu einer Revolutionierung üblicher Museumspädagogik geführt ..."

Die „Zeit" beschreibt die Ausstellung so: „Die Karlsruher wollen keine Thesen illustrieren, sondern Lebenswelten zeigen, Querschnitte freilegen ... Wir sehen (und durchwandern) zahlreiche Räume vom Thronsaal bis zur Kerkerzelle, hier das klamme Elend der Handwerkerstube, dort die puppengemütliche Familiengruft des Bürgers. Dann der Aufbruch, besser Ausbruch, die Eroberung des öffentlichen Raumes ..."

Aber es gibt auch ablehnende Kommentare, auch wenn diese deutlich in der Minderzahl bleiben. Die Südwestpresse kritisiert: „Die Ausstellung ... ist ein Versuch, Packenderes zu bieten als Erläuterungen auf Schrifttafeln und Dokumente hinter Vitrinenglas. Die Revolution wird stattdessen als Event präsentiert, trivial oft und simpel. Wenn das Museum probiert, Theater zu spielen, ist Gefahr im Verzug. In Karlsruhe verrutscht das Ideendrama zur Ausstattungsoperette."

Die „Süddeutsche Zeitung" ist vom Ergebnis ebenfalls enttäuscht, sie meint: „So verlockend der Gedanke ist, nicht bloß die imponierende, doch auch ermüdende Fülle der Gemälde, Stiche, Flugblätter ... aufzureihen ..., so ernüchternd fällt die Realisierung aus. Pappkameraden als lebensgroße Installationen nach Abbildungen der Zeit arrangiert, preußische Truppen, kämpfende Freischärler, verlieren ihren Laubsäge- und Staffagecharakter kaum." Dagegen wirkt dieses Gestaltungsmittel auf die „Badischen Zeitung" so: „Historische Ereignisse und Szenen erhalten mit Hilfe von vergrößerten figurativen Holzschnitten aus der Leipziger „Illustrierten Zeitung" jener Jahre ihre räumliche Dimension zurück."

Doch letztendlich ist der Mensch dem Menschen das Interessanteste. Historische Texte werden anders wahrgenommen, wenn sie gelesen oder gehört werden. Die Idee, Schauspieler in das erzählerische Konzept der Ausstellung einzubinden, lag bei den Bemühungen um eine sinnliche Aufbereitung des Themas nahe.

Die Schauspieler der Heidelberger Theaterwerkstatt spielen ständig, in der Art eines Straßentheaters, in der Ausstellung.
Alle Medien reagierten besonders intensiv auf dieses Element der Ausstellung. Das liest sich dann einmal so: „Ohne sich aufzudrängen, sprechen und streiten die Heidelberger Schauspieler miteinander, mitten in der Ausstellung. Sie verwandeln in die Gegenwart eines lebendigen Schauspiels, was doch „nur" Vergangenheit ist." (Badische Zeitung). Der „Süddeutschen Zeitung" wiederum gefällt nicht die Art des Schauspiels, ihr Kommentar: „Und Schauspieler mit Heckerhut, Zylinder und anderen Kleidern der Zeit angetan, dabei badisch sprechend, geraten in der Ausstellung eher zu peinlichen tableaux vivants."

Was macht die Ausstellung „1848/49. Revolution der deutschen Demokraten in Baden" im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe anders als vergleichbare Projekte?

Jede historische Ausstellung, auch diese, arbeitet in erster Linie mit historischen Ausstellungsstücken, mit den sogenannten Exponaten. In Karlsruhe sind das rund 750 Originale: Fahnen, Waffen, Flugblätter, Zeichnungen, Gemälde, Protokolle, Kleidungsstücke und Uniformteile, Möbel etc. Diese Objekte sind so ausgewählt und angeordnet, daß ein kulturhistorisches Bild der Zeit entsteht und gleichzeitig die Chronologie der Ereignisse erkennbar wird. Das ist die Basis dieser Ausstellung, und so weit auch mehr oder weniger gängige Praxis; diese steht auch nicht zur Diskussion. Stoff der Betrachtung ist hier die intensive Inszenierung der Ausstellung in Bildern, die figürlichen Darstellungen und der ständige Einsatz von Schauspielern.

Ein wesentliches Stichwort für die Konzeption der Karlsruher Ausstellung ist das Stichwort Inszenierung. Eine Szene, verstanden als eine „kleine Handlungseinheit, Schauplatz" ist ein Begriff aus der Welt, deren Bretter die Welt bedeuten. Das Szenenkonzept der Karlsruher 48er Präsentation folgt der Idee, in möglichst einfachen, schlüssigen Bildern den Handlungsablauf der Revolutionsgeschichte zu verdeutlichen. Die meisten Szenenbilder sind quasi eingefrorene Augenblicke, Momentaufnahmen, die so oder so ähnlich stattgefunden haben könnten, so als hätten die historischen Akteure gerade die Räumlichkeiten verlassen und könnten jeden Moment zurückkommen: In eine ärmliche Bauernstube, in ein aktenverstaubtes Rentamtzimmer, in ein
aufgeräumtes Biedermeierzimmer. Ein konkretes Beispiel: In der Unordnung eines überstürzt verlassenen höfischen Zimmers mit einer stehengelassenen Reisekiste neben einem umgeworfenen Stuhl wird die Flucht des badischen Großherzogs aus dem Karlsruher Schloß erzählt.
Dabei haben viele Details erzählende Funktion, sie sind keine Dekoration, sondern Teil der erzählten Geschichte. Die Szenenbilder sind also konkret in ihrer Handlung und Erzählung und verzichten weitgehend auf einen abstrakten symbolischen Gehalt, der erst unter Kenntnis eines Codes dechiffriert werden müßte, um ihn zu verstehen.

Architektonisch arbeitet die Ausstellung mit begehbaren Bühnenbildern. Blickachsen werden an acht wesentlichen historischen Stationen der Revolution durch große Bilderrahmen markiert und geführt.

Die chronologischen Schlüsselszenen sind in einen dramaturgischen Fluss gestellt, der Schwerpunkte setzt, offene Raumsituationen erzeugt, Enge thematisiert, mit statischen Formen und kippenden, dynamischen Brechungen spielt, mit Ordnung, mit Unordnung und Unruhe. Die Farbgebung, die zurückhaltend weiß beginnt, die Ausstellung dann über die Farbe Gelb in aktives, revolutionäres Rot und schließlich in das Schwarz der Depression taucht, verstärkt die sinnliche Wirkung.

Eine Revolution ist ein Prozeß, bei dem vor allem auch die Menschen, neben allen noch so spannenden Exponaten, dargestellt sein wollen. Dabei geht es nicht nur um die Stars wie Friedrich Hecker oder Gustav Struve, sondern auch um die vielen unbekannten, namenlosen Mitstreiter und Gegner der Revolution. Die Ausstellung versucht, menschliche Züge einzuspielen und eine Verbindung zu den Exponaten herzustellen.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts waren Zeitungen als wichtiges Kommunikationsmittel entstanden, die neben Text auch wenige Abbildungen enthielten. Holzschnitte oder vielleicht besser Holzstiche, die nach skizzenhaften Vorlagen gefertigt und in den Zeitungen tausendfach verbreitet wurden. Nicht immer waren dabei wohl flinke Zeichner vor Ort, bei Versammlungen, beim Barrikadenbau und bei den Kämpfen. Deshalb entwickelten sich bestimmte Bildmuster, die wiederholt wurden. Vor der standrechtlichen Erschießung stehende Revolutionäre entblößen reihenweise ihre linke Brust zum tödlichen Herzschuß.

Oder: Frauen tun sich als fahnentragende, mutige Avantgarde auf den Barrikaden hervor. Dieses Bild ist wohl eine Projektion des französischen Revolutionsbildes von Delacroix. Neben diesen stereotypen Abbildungen gibt es aber auch einen reichhaltigen Fundus dieser Abbildungen, die Individuen erkennen lassen, Männer, Frauen, Kinder, Bürger und Revolutionäre, Bauern und viele mehr. Aus 10 Jahrgängen der „Illustrierten Zeitung" von 1845 bis 1855, wurden diese Figuren aus den Bildvorlagen entnommen und in Lebensgröße auf hölzerne Trägerplatten in die Ausstellung, genauer in die szenischen Zusammenhänge, gestellt. Es ist erstaunlich, welche Bildqualität und Präzision in diesen Schnitten trotz dutzendfacher Vergrößerung, enthalten ist.

Über die Gründe, warum manche Kritiker etwas gut finden was andere ablehnen, läßt sich nur spekulieren. Falls Einigkeit über die Notwendigkeit besteht, das Thema der deutschen Revolution einem breiten, wenig vorgebildeten Publikum nahezubringen, müßte ein Konsens über die Funktion unterstützender, belebender Medien leicht herzustellen sein. Kulissenhaftigkeit ist für den Gestalter, bewußt eingesetzt, nichts Negatives. Eine Ausstellung ist eine Konstruktion und kein Imitat. Konstruiertes darf deshalb auch so empfunden werden. Je mehr in einer Ausstellung passiert, desto schwieriger wird es für die Kritik, eine Gesamtbewertung abzugeben. Dies gilt im besonderen für das Medium Schauspiel, das eine Disziplin für sich ist. Gesprochen wird zu über 90 Prozent „historische Textmasse", im Gesamtkonzept der Ausstellung kommt also den Schauspielern eine bedeutende Rolle zu.

Die Begeisterung des Ausstellungspublikums für die lebendige museale Gesamtpräsentation ist unübersehbar.
Die Ausstellung geht mit guten Besucherzahlen, auch Dank eines reichhaltigen Begleitprogramms, einem Erfolg entgegen; in der Woche vor Ostern hatten bereits über 30.000 Besucher die Ausstellung angeschaut, über 800 (!) Führungen sind bereits fest gebucht.

Eines fällt auf: Die meisten Presseberichte, auch filmische, folgen dem Ablauf der Szenenbilder der Ausstellung: ein Indiz dafür, daß das Konzept, die Inhalte in Bilder zu fassen, funktioniert. Ausstellungen müssen, wenn sie viele Besucher ansprechen wollen, Angebote sein, ein Thema inhaltlich korrekt und anschaulich vermittelt zu bekommen. Sie müssen auch Ereignischarakter haben und damit für sich werben. Gerade auch in Zeiten schwindender finanzieller Spielräume. Dabei geht es nicht um die Alternative, die Ereignisse anspruchsvoll oder banal darzustellen. Es geht darum, die Besucher dort abzuholen wo sie stehen und einzuladen, so tief wie sie wünschen in das Thema, oder besser, Abenteuer Geschichte einzusteigen und dafür ein Programm anzubieten.

von Kurt Ranger

Erschienen in:
Kultur. Kritische Blätter für Kenner & Neugierige. Mai 1998, Nr. 78, S. 9.