Kurt Ranger

Anschaulich machen

Über die Neueinrichtung des Badischen Landesmuseums


Die Anforderungen an die Gestaltung von Ausstellungen sind in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Inhalt und Form, Sammlungsgut und Ausstellungsdesign oder Ausstellungsarchitektur sollen dabei in einem ausgewogenen funktionalen Verhältnis zueinander stehen. Salopp gesagt, sollen Inhalt und Verpackung zusammenpassen. Der Gesamtauftritt soll der Sache angemessen sein, Lust aufs Schauen wecken, Zusammenhänge begreifbar machen, die komplexe Zielgruppe Museumsbesucher ansprechen, didaktisch sinnvoll erklären, was auf den ersten Blick nicht sichtbar ist, die Geschichte „hinter” den Objekten zum Sprechen bringen, konservatorische Anforderungen erfüllen, neue Medien einsetzen – und das alles innerhalb eines knappen Finanzrahmens.

In Karlsruhe findet die Umsetzung dieser und noch vieler anderer Aspekte bei der Neueinrichtung des Badischen Landesmuseums im Schloß mit ca. 8000 qm Ausstellungsfläche statt. Dieses Schloß ist Stadtzeichen und Mittelpunkt einer neuzeitlichen Stadtgründung, die exakt einem Zirkelschlag folgt. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges wurde das Schloß äußerlich restauriert, die ehemals kleinteiligen Innenräume wurden für eine museale Nutzung zu großen saalartigen Räumen verbunden.

Betritt der Besucher das Schloß und damit das Badische Landesmuseum, so hat er drei Möglichkeiten des Rundgangs. Eine davon, und vermutlich die am meisten genutzte, ist der Gang in den linken Flügel, in die Antikensammlung. Sie ist somit für den Erstbesucher des Museums eine Visitenkarte, ein erstes und wichtiges Angebot, das Konzept des „neuen" Museums kennenzulernen. Auf ca. 600 qm Fläche begegnet der Besucher vergangenen Zeiten, kann neben anderen Kulturräumen auf die Kykladen-Kultur mit ihren modernistisch anmutenden Idolen treffen, er findet Spuren mesopotamischen Lebens, bekommt einen kurzen Eindruck einer Kultur, die mit dem exotisch klingenden Namen Urartu bezeichnet wird und gelangt zum ersten Ausstellungs-schwerpunkt Ägypten. Danach wird der Besucher in die Griechische Welt weitergeführt. Der Gang endet am entgegengesetzten Treppenhaus und wird dort, in einem späteren Bauabschnitt, zu den Römern und nach Byzanz führen.

Welche Möglichkeiten gibt es nun für den Ausstellungsgestalter, mit den vorhandenen Möglichkeiten eine neue Ausstellungsgestaltung zu entwickeln?
Der Einstieg kann nur über die inhaltliche Seite gelingen. Die Rolle des Ausstellungsgestalters ist immer auch die Aufgabe, als interessierter Laie an ein Thema unvoreingenommen und möglichst „unwissend” heranzugehen.
Welche Grundkenntnisse kann das Museum dabei für seine Besucher vorraus-setzen? Und wer sind die zukünftigen Besucher von Museen? Ist es der klassische Bildungsbürger, der gezielt eine Abteilung besucht, oder ist es eine flanierende Familie, die sich vielleicht eher zufällig bei einem Spaziergang in die Sammlung „verirrt”? Muß eine Grundinformation an historischer Bildung angeboten werden, und wie spricht man ausländische Besucher an? Können auch Jugendliche interessiert und als regelmäßige Besucher gewonnen werden? Das „neue” Museum muß alle diese Besucher erreichen und darüber hinaus noch viele, viele andere Besucher (= Zielgruppen) ansprechen, informieren und auch unterhalten. Das Museum muß die Menschen dort abholen, wo sie stehen.

Ein Schlüssel zum Besucher ist eine gelungene Thematisierung der Inhalte. Eine Bündelung und Konzentration von Objekten, eine schwerpunktsetzende Verdichtung, die auch räumlich gestalterisch umgesetzt und damit für den Besucher sinnlich erfaßbar ist. Ein paar Beispiele: Den Sammlungsbereich Ägypten betritt der Besucher durch ein stilisiertes „Totentor”. Durch einen kurzen Gang hindurch fällt sein Blick auf das große „Grabkammerrelief”. Die Decke wird in diesem Bereich abgehängt, der Raumeindruck „Grabkammer” wird in abstrakter Form vermittelt. Der Besucher soll hier auch durch Gefühl, durch Anmutung angesprochen werden.

Der Themenkreis „Frauen, Männer und Kinder” in dem griechischen Teil der Ausstellung wird durch ein stilisiertes Haus architektonisch visualisiert. Der Besucher betritt dieses Haus durch ein abstrahiertes Tor und findet drei angedeutete Räume. Die Stimmung in diesem „Haus” ist eine Spur rekonstruktiver als die Stilisierung der „Grabkammer”.

Einen weiteren Schwerpunkt in dieser Ausstellungsdramaturgie bildet das „griechische Theater”: Treffpunkt für Führungen, Sitzplatz für Besucher und Bühne für Theaterspiel im Museum. Das Forum ist ein stilisierter Platz, der in seiner Zeichenhaftigkeit dem Besucher in Erinnerung bleiben soll und dem Besucher auch helfen kann, sich in dem komplexen Grundriß des Badischen Landesmuseums zu orientieren.

Diese Themenbildung wurde in der Konzeptionsphase in enger, partner-schaftlicher Zusammenarbeit aller Beteiligten mit mir und meinem Team entwickelt. Eine kreative Themenliste wurde in einer zweiten Phase auf ihre Umsetzbarkeit überprüft. Hierbei spielten sowohl Fragen der Exponatsituation, der gestalterischen Umsetzbarkeit und die mögliche sinnvolle Einbindung in den Gesamtgrundriß eine wesentliche Rolle. Das Schöne an der Zusammen-arbeit mit dem Badischen Landesmuseum in Karlsruhe ist, daß genau diese Form produktiver konzeptioneller Zusammenarbeit immer wieder möglich ist.

Inhalt und Form bedingen sich gegenseitig, nur eine klare inhaltliche Struktur läßt sich architektonisch schlüssig umsetzen. Rückwirkend kann auch die Vorgabe der Räumlichkeit und das damit verbundene Raumkonzept Einfluß auf die Inhalte, auf die Möglichkeiten der Umsetzung, geltend machen. Aber auch Aspekte der Bilderzeugung spielen eine Rolle. Nicht jede inhaltliche Idee läßt sich gestalterisch umsetzen, nicht jeder gestalterische Ansatz ergibt Sinn. Es geht also nicht darum, daß die Designer die vorgegebene Konzeption Punkt für Punkt umsetzen, sondern vielmehr darum, inhaltliche Konzepte im Dialog zu entwickeln, zu optimieren, um ein didaktisch und ästhetisch befriedigendes Gesamtergebnis zu erzielen.

Thematische und architektonisch umgesetzte Schwerpunkte sind für die Dramaturgie des Projektes von großer Bedeutung. Eine gelungene Ausstellung kann mit einer spannungsvollen musikalischen Komposition verglichen werden. Ein Grundthema wird am Anfang entwickelt, ausgebreitet, variiert und führt zu einem ersten Höhepunkt, wird weitergeführt, vielleicht auch bewußt durchbrochen, entwickelt sich zu einem stärkeren Höhepunkt hin und mündet in den Schluß.
Neben diesen Schwerpunkten gilt es in der weiteren Entwicklungsarbeit der Ausstellung, eine Vielfalt von Detailaussagen und Detailideen umzusetzen. Dabei spielt die Einrichtung der Vitrinen eine wichtige Rolle. Diese soll nicht nur thematisch klar gegliedert erfolgen und daneben ansprechend wirken, sondern auch inhaltliche, thematische Aussagen verstärken.

Der Sammlungsbestand jedes Museums hat seine eigene Geschichte und folgt häufig nicht dem Plan einer Gesamtpräsentation der jeweils auszustellenden Kultur.

Um mit der Vitrinenausgestaltung frühzeitig zu beginnen und sie nicht auf die meist nervenaufreibende Phase kurz vor Ausstellungseröffnung zu verschieben, bedienen sich die Ausstellungsgestalter modernster Computertechnik. An die 1000 Ausstellungsobjekte der Antikensammlung werden samt Inventarnummer in die Computer maßstäblich eingescannt und können auf dem Bildschirm in den Vitrinen bewegt und zugeordnet werden. Durch dieses Verfahren lassen sich auch eine beträchtliche Zeitersparnis realisieren und der Entwicklungs-prozeß präzisieren.
Das Design sämtlicher Vitrinen, von Stellwänden, Podesten und Räumen entspringt einem formalen und funktionalen Baukastensystem. Diesem System liegt ein maßliches Raster zugrunde, basierend auf der Spaltenbreite für einen Beschriftungstext. Das typografische System wurde vom Grafischen Atelier Stankowski und Duschek als Elemente des visuellen Erscheinungsbildes für alle Bereiche des Badischen Landesmuseums konzipiert. Die Oberflächen-gestaltung dieses Ausstellungsbaukastens ist bewußt zurückhaltend in der Materialcharakteristik. Lackierte Oberflächen in drei Stufen (Weiß, Hellgrau, Schwarzgrau) lassen sich für die grafische Nutzung bedrucken. Für technische Bauelemente wie Scharniere, sichtbare Verbindungen, Sockelleisten findet Edelstahl Verwendung. Andere Materialien wie sichtbares Holz, Putz, Stoff und potentiell jeder andere Werkstoff kommen dort zum Einsatz, wo der spezifische Materialcharakter eine beabsichtigte Inszenierung unterstreichen kann.

Dieser Designbaukasten ermöglicht Einheitlichkeit in der Vielfalt. Er soll in jedem Ausstellungsabschnitt neu interpretiert werden und wird durch Architekturelemente ergänzt. In der „Türkenbeute”, deren Konzept und Gestalt in enger Zusammenarbeit als erster Baustein der Neueinrichtung entwickelt wurde, stehen beispielsweise zwei stilisierte osmanische Zelte im Mittelpunkt.
Innerhalb des gestalterischen Gesamtkonzeptes spielt auch die Ausstellungs-grafik eine wesentliche Rolle. Sie kann neben ihrer traditionellen Aufgabe, Text möglichst lesbar zu transportieren, auch weitere Lösungen anbieten. Die Verknüpfung von inhaltlichen Aussagen sowie deren Versinnlichung und Verdeutlichung beginnt dort. Klare, logisch aufgebaute typografische Strukturen, Überschriftenhierarchien, Textmengen in verdaubarer, lesefreundlicher Anordnung sind ein Aspekt guter Grafik. Darüber hinaus kann Grafik plakativ arbeiten, Stimmungen und Zusammenhänge deutlich machen. Auch im Einsatz großer Bildmotive bildet sie einen Bestandteil musealer Ausstellungsarchitektur.

von Kurt Ranger


Erschienen in:
Designer. Magazin für Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft, 1998, S. 23.