Kurt Ranger


Design unter Strom

Erfindungen werden gemacht, setzen sich durch oder besser, werden durchgesetzt und verändern nicht nur die Technik, sondern schließlich auch die Gesellschaft selbst. Die Elektrifizierung der Gesellschaft führte zur „elektrisierten“ Gesellschaft. Diese Gedanken drängten sich bei der ersten Beschäftigung mit dem Thema der Ausstellung auf. Die Welt der Elektrizität ist ein unerschöpfliches Thema, jeder Einzelaspekt wie die Veränderungen in der Musik, in den Büros, im Haushalt wäre ein Thema für sich. Doch eine gute Ausstellungskonzeption braucht auch die Verkürzung, die „Schlaglichter“ können helfen, Zusammenhänge besser zu verstehen. Wir alle leben ja selbst in der „elektrisierten“ Gesellschaft, ohne uns wahrscheinlich ständig über deren Einfluß auf uns bewußt zu sein. Oder sind wir uns unserer Abhängigkeit von der Elektrizität bewußt? Das Thema dieser Ausstellung ist sowohl aus dem historischen wie auch aus dem Blickwinkel der heutigen Zeit – nämlich auf die Zukunft – spannend.

Die Anforderungen an die Gestaltung von Ausstellungen sind in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Inhalt und Form, Sammlungsgut und Ausstellungsdesign oder Ausstellungsarchitektur sollen dabei in einem ausgewogenen funktionalen Verhältnis zueinander stehen. Salopp gesagt, sollen Inhalt und Verpackung zusammenpassen. Der Gesamtauftritt muß der Sache angemessen sein, Lust aufs Schauen wecken. Was zu tun ist: didaktisch sinnvoll erklären, was auf den ersten Blick nicht sichtbar ist, die Geschichte „hinter“ den Objekten zum Sprechen bringen, konservatorische Anforderungen erfüllen, neue Medien einsetzen und das alles innerhalb eines vorgegebenen Finanzrahmens.

Der Einstieg kann nur über die inhaltliche Seite gelingen. Die Rolle des Ausstellungsgestalters ist dabei immer auch die Aufgabe, als interessierter Laie an ein Thema unvoreingenommen und möglichst „unwissend“ heranzugehen. Der Ausstellungsdesigner ist niemals Experte auf den Spezialgebieten, die er thematisiert und gestalterisch umzusetzen hat: Seine Auftraggeber sind es, die über dieses Fachwissen verfügen, ohne das kein Projekt auskommt. Dagegen ist der Designer Fachmann für Probleme der Veranschaulichung und Emotionalisierung. Er nimmt im Dialog der Experten „treuhänderisch“ die Position des Publikums ein. Das heißt nicht, daß er sich als „Showmaster“ in den Vordergrund rücken wollte; daß er sich in leichtsinniger Weise „dumm“ stellte oder die Standpunkte der Experten und der Wissenschaft als nachrangig betrachtete: Ihm geht es allein darum, das Wesentliche einer komplexen Aufgaben- oder Themenstellung erfolgreich zu vermitteln. Ein Schlüssel zum Besucher ist dabei eine gelungene Thematisierung der Inhalte. Eine Bündelung und Konzentration von Objekten, eine schwerpunktsetzende Verdichtung, die auch räumlich, gestalterisch umgesetzt und damit für den Besucher sinnlich erfaßbar wird. Inhalt und Form bedingen sich gegenseitig, nur eine klare inhaltliche Struktur läßt sich architektonisch schlüssig umsetzen. Rückwirkend kann auch der vorgegebene Raum und das damit verbundene Raumkonzept Einfluß auf die Inhalte, auf die Möglichkeiten der Umsetzung geltend machen.

Aber auch Aspekte der Bilderzeugung spielen eine Rolle. Nicht jede inhaltliche Idee läßt sich gestalterisch umsetzen, nicht jeder gestalterische Ansatz ergibt Sinn. Es geht also nicht darum, daß der Designer die vorgegebene Konzeption Punkt für Punkt umsetzt, sondern vielmehr darum, inhaltliche Konzepte im Dialog weiter zu entwickeln, zu optimieren, um ein didaktisch und ästhetisch befriedigendes Ergebnis zu erzielen.

Eine gelungene Ausstellung kann mit einer spannungsvollen musikalischen Komposition verglichen werden. Ein Grundthema wird am Anfang entwickelt, ausgebreitet, variiert und führt zu einem ersten Höhepunkt, wird weitergeführt, vielleicht auch bewußt durchbrochen. Es entwickelt sich zu einem stärkeren Höhepunkt hin und mündet ins Finale. Design, Inszenierung und (Innen-) Architektur spielen heute eine zentrale Rolle im Ausstellungswesen. Ausstellungsdesign ist keine Wissenschaft, sondern eine Praxis der Veranschaulichung, der Versinnlichung, der Emotionalisierung. Ausstellungsdesigner stehen zwischen einem meist vielschichtig strukturierten Publikum und den oft komplizierten Sachverhalten bzw. Gegenständen, die zu „vermitteln“ sind. Sie müssen Interesse wecken, das beim Adressaten nicht notwendigerweise vorausgesetzt werden kann. Sie müssen am Thema, an den Gegenständen, an den Fakten bleiben und doch gleichzeitig dem Betrachter neue Horizonte eröffnen. Sie sollen vereinfachen, dürfen aber nicht verfälschen. Ausstellungsdesigner kalkulieren mit der affektiven Hinwendung des Besuchers zu einem Gegenstand oder zu einem Thema. Das Publikum soll unaufdringlich animiert werden, im freiwilligen Erleben und Handeln bestimmte Entdeckungen zu machen: Und diese Entdeckungen –im alten Jargon die „Lernziele“ – sind nicht unbedingt mehr genau beschreibbare (oder darstellbare) Antworten auf präzise gestellte Fragen, sondern Erlebnisräume, in denen der Besucher auf ganz subjektive Weise, und d.h. auch: gefühlsmäßig mit den Ausstellungsinhalten in Beziehung tritt.

Soweit ein paar theoretische Überlegungen. Zur Praxis dieses Projekts:
die Themenbereiche, die konkreten Inhalte der Ausstellung nach dem Briefing der Experten, sind: Die Entwicklung der Beleuchtung im Haus, die Elektrifizierung der Straßenbeleuchtung, die Veränderung der Arbeitswelt im Büro, die sogenannte Stromarchitektur, die Elektrifizierung des Kochens, die Elektrifizierung der Landwirtschaft in den 20er und 30er Jahren, die Entwicklung der Heimarbeit, der Bereich der Unterhaltung, die Entwicklungen in der Medizin und der Einfluß der Elektrizität auf die Musik und die Kunst.

Jede Ausstellung läuft Gefahr, sich zu „verzetteln“, insbesonders dann, wenn ihr Thema außerordentlich weit gefaßt ist. Auch unter gestalterischen Überlegungen kann eine solche Ausstellung leicht durcheinander geraten. Sie hätte dann kein „Gesicht“. Das Ganze wäre schnell ein visueller Basar der Beliebigkeiten. Natürlich könnte auch das ein architektonisches Gestaltungsprinzip sein, nicht aber für dieses Thema. Aus der ersten Analyse, oder besser aus dem Gefühl des allzu starken Gleichgewichts aller Themen entstand die Idee, den Themenkomplex der Außenbeleuchtung zu einer Straße zu verdichten und als Gestaltungselement markant in die Ausstellung zu stellen.

Wodurch wird eine Straße zur Straße? Architekturfassaden sind das mindeste, was man benötigt, um den Charakter einer sparsam stilisierten Straße zu erzeugen. Etwas Bodenbelag ist nötig. In fünf Stationen werden so Beleuchtungsmittel, vom Pechkorb des 16. Jahrhunderts über die Gaslampe (Historismus), die Bogenlampe (Jugendstil), die Leuchtpunktlampe (Moderne) bis hin zur Leuchtstofflampe der 60er Jahre und entsprechende Fassaden einander begegnen. Doch wie bekommt man Architekturfassaden in eine Ausstellung? Sollen sie plastisch herausgearbeitet sein, sind sie grafisch dargestellt, oder gibt es eine Mischform? Solche gestalterischen Fragen können häufig schon mit einem Blick auf den Ausstellungsetat beantwortet werden. Die Kosten/Nutzenrelation muß stimmen. Die Fassaden wurden deshalb grafisch umgezeichnet und plakativ großflächig als nahezu raumhohe Elemente ausgeführt. Ein Problem dabei ist die Beleuchtung. Ideal wäre die Originalbeleuchtung der Straßenlaternen durch sich selbst. Aber erstens handelt es sich um einmalige Stücke: Diese Leuchtmittel, wenn sie überhaupt noch funktionierten, wären durch die Ausstellungsnutzung unwiederbringlich zerstört. Außerdem müßte die Ausstellung dann sehr dunkel sein, eine gewisse Grundhelligkeit ist jedoch auch für die anderen Themen der Ausstellung nötig. Was bleibt ist dann die Umsetzung von Licht und Helligkeit auf der Fassade durch grafische Schattierung von hell bis dunkel. Die Fassaden stehen parallel zur Außenwand des Raumes und werden von Fassade zu Fassade leicht in die Blickachse der Besucher eingedreht.

Die Entwicklung der Innenbeleuchtung und der Einfluß von Licht auf den alltäglichen Tagesablauf wird am deutlichsten, wenn wir uns von unserer heutigen Sicht zurückversetzen in die Zeit, als das natürliche Tageslicht den Tagesablauf weitgehend bestimmte. Um eine solche Situation zu vermitteln, braucht man zuerst einmal absolute Dunkelheit, in einer Ausstellung ist dies nur in speziell abgedunkelten Räumen möglich. Wie kommt man dann aber zu einem Vergleich der Leuchtmittel? Entweder durch Demonstration von Originalleuchtmitteln oder durch die audio-visuelle Präsentation. Die erste Möglichkeit würde die ständige Präsenz einer fachkundigen Person voraussetzen. Offenes Feuer stellt eine Gefahrenquelle dar und die Geruchsbildung von verbranntem Tran würde sicher zu einer dauerhaften Geruchsbelästigung führen. Der Designer schlug vor, sich über ein Experiment der Lösung dieses Problems zu nähern. Wie unterscheiden sich denn tatsächlich die Leuchtstärken, der Charakter der verschiedenen Leuchtmittel Kienspan, Kerze, Öllampe, Petroleumlampe, Gaslicht und Glühleuchte? Lassen sich diese Unterschiede per Videokamera aufzeichnen und via Monitor sichtbar machen? Im Badischen Landesmuseum wurde ein abgedunkelter Raum präpariert, die Originalleuchtmittel entzündet und mittels Videokamera auf einen Monitor überspielt. Das Originallicht konnte simultan mit dem Videolicht überprüft und verglichen werden. Ergebnis: Die Sache funktioniert, wenn auch technische Probleme der extremen Bildhelligkeit/Kontrastwirkung und der damit verbundenen Überforderung der Mikrochips durch erstklassige Studiotechnik gelöst werden mußten.
Der Mensch verfügt jedoch über mehr Sinne als seinen visuell-optischen Wahrnehmungsapparat. Wie waren die Gerüche in der vorelektrisierten Zeit? Geruch läßt sich über AV-Medien noch nicht übertragen. Die Elektrifizierung des Lichts führte zum geruchslosen Licht. Die Ausstellung präsentiert konservierte Lichtgerüche der vorelektrischen Zeit.

Die Idee, drei Vergleiche aus der Arbeitswelt der Büros, von technischen Bürogeräten der 20er/30er Jahre, der 60er Jahre und der 90er Jahre herzustellen erschien sofort schlüssig zu sein. Komplettiert werden sollte dieser Vergleich mit jeweiligen Bildern aus diesen Zeiträumen. Bei der Durchsicht alter Fotos aus dem Zeitraum davor fiel auf, daß dort nur Männer in den Büros arbeiteten. Stehend an Pulten, mit Ärmelschonern geschützt, verrichteten sie ihren akkuraten Bürodienst. Wo sind all die Männer hin? Der Gestaltungsvorschlag: Der Besucher betritt über drei auf dem Boden montierte Bilder der ehemaligen männlichen Bürowelt, durch einen stilisierten Eingang, diesen Raum mit den drei Bildvergleichen. Links vor den Großfotos sind verschiedene technische Geräte aus der Frühzeit der Elektrifizierung des Büros aufgebaut. Im mittleren Bild, den 60er Jahren, geht es schon weitaus „elektrisierter“ zu. Und heute geht ohne den Computer gar nichts mehr. Der Besucher hat die Möglichkeit, drei Geräte auszuprobieren. Die mechanische Schreibmaschine kann mit der elektrischen Schreibmaschine und einem Computer verglichen werden. Berühren erwünscht! Neben dem Eingang zu diesen drei Bildern wird ein kurzer Filmzusammenschnitt gezeigt. Der Film heißt: „Die Privatsekretärin“ und zeigt auf eigentümliche Weise den damaligen (männlichen? weiblichen?) Zeitgeist.

Was ist das, Stromarchitektur? Das ist Architektur, die um stromerzeugende und stromtragende Elemente herum entstand, vom Kraftwerk über die Umspannstationen bis zu den Trafohäuschen. Auch die Strommasten selbst sind ein Thema. Der Vergleich verschiedener Architekturtypen war angestrebt. Das vorhandene Bildmaterial war allerdings lückenhaft. Der Schwerpunkt lag bei den Trafohäuschen. Diese kleinen, turmartigen Häuser spiegeln augenfällig den gestalterischen Versuch, diese Fremdkörper städtebaulich zu integrieren. Als gestalterische Lösung schlugen wir eine klassische synchronoptische Umsetzung vor. Auf verschiedenen parallelen Schienen „laufen“ dabei, beginnend mit dem Jahr 1895, Zeichnungen und Fotos von Kraftwerken, Strommasten, Umspannstationen und Transformatoren ab. Die Abfolge verschiedener Architekturtypen und Bauformen wird so auf einen Blick ersichtlich.

Die Veränderungen des Kochens durch den Einzug der Elektroherde ist ein weiteres Thema der Ausstellung. Das Kochen fand ursprünglich an offenen Feuerstellen statt. Später wurde das Feuer in Herden „gebändigt“. Das Kochen wurde sauberer, der Rauch und damit die Verrußung konnten gezielt über Ofenrohre und Schornstein abgeführt werden. Die Technik der Holz-Kohlebefeuerung war gut entwickelt, warum sollten die Benutzer auf Elektroherde umstellen? Ganz einfach: Die „Mittagstäler“ sollten gefüllt werden. Die Verbraucherin mußte nur noch überzeugt werden. Die technische Entwicklung der Elektroherde verlief in mehreren Stufen. Aus heutiger Sicht seltsame Mischbefeuerungen wie der Holz-Kohle + Elektroherd gewöhnten den Verbraucher an die neue Energie. Die Ausstellung dokumentiert diese Entwicklung im direkten Vergleich mehrerer Herde. Großfotos runden das Bild ab. Die Anordnung der Kochstellen beginnt vor rußgeschwärztem Hintergrund. Aber auch hier zeigt sich, wie die Elektrifizierung des Kochens auch die Kochgewohnheiten veränderte. Dem neuesten Elektroherd ist eine Arbeitsfläche beigeordnet, auf der in heutiger Manier gekocht wird. Eine Vielzahl von Zutaten, die halbfertig oder fertig zubereitet nur noch erwärmt werden müssen, stehen einer Kochinszenierung aus der „Feuerzeit“ gegenüber. Damals wurde in einem großen Topf über längere Zeit hinweg gekocht. Die Küchen wurden im Laufe der Zeit immer sauberer, dafür füllten sich jedoch die Mülleimer immer mehr.

In der Landwirtschaft, hier speziell in der badischen, wurde die Verstromung ab den 20er Jahren propagiert. Verschiedene Geräte sollten gezeigt werden. Aber: Maschinen aus der Frühzeit der Verstromung gibt es kaum noch. Die Suche nach solchen Geräten auf alten badischen Höfen war für die Expertin die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Irgendwann während der Arbeit an dem Projekt kam der Gedanke, daß die Elektrifizierung vor allem auch zu einem enormen Zeitgewinn der Gesellschaft geführt hatte. Es war z.B. möglich gewesen, Nachrichten in extrem kurzer Zeit zu übermitteln. Doch wie wirkte sich der Zeitgewinn auf die Arbeit aus? Wie wäre es, wenn man gegenüberstellen würde, welche Arbeitsleistung eine Bauer zum Beispiel in 30 Minuten mit einer Handsäge und vergleichsweise mit einer elektrisch betriebenen Kreissäge erbringen konnte. Ablesbar würden diese Leistungen durch die Menge des gesägten Holzes, die neben der Maschine bzw. neben der Handsäge liegen würde. Diese Idee wurde aufgegriffen, gezeigt werden Maschinen im direkten Vergleich mit den durch Menschenkraft betriebenen Vorläufern. Die entsprechenden Mengen des bearbeiten Materials dokumentiert den (Zeit-) Fortschritt; (oder vielleicht gar den Verlust?).

Auch bei der Heimarbeit wurde dieses Vergleichsprinzip herangezogen. Mit einer manuellen Bürsteneinstanzmaschine im Vergleich zu einer elektrisch betriebenen Maschine wird dieser Vergleich sichtbar gemacht. Doch der Fortschritt hat auch mindestens eine Kehrseite. Durch die enorme Steigerung der Arbeitsleistung gingen sehr viele Arbeitsplätze verloren. Dieser Aspekt wird durch eine grafische Umsetzung visualisiert. 50 Frauen an manuellen Geräten stehen einer deutlich geringeren Zahl von Frauen, die an Elektromaschinen sitzend arbeiten, gegenüber. Die Ausstellung streift das Thema Unterhaltung nur am Rande. Elektrisierautomaten, mit denen man sich gegen den Einwurf von 10 Pfennig elektrisieren lassen konnte oder der elektrische Schießautomat „Üb Aug' und Hand fürs Vaterland“ sind erheiternde Exponate. Fließend ist der Übergang zu dem gegenüber aufgebauten Thema „Medizin“. In der Gründerzeit der Elektromedizin war dieses Genre zwischen Unterhaltung, Sensation und ernsthafter Medizin fließend, die Übergänge unscharf. Da gab es beispielsweise „Das Wunder der Steckdose“: Da wird in einem Prospekt der 20er Jahre die Steckdose mit Aladins Wunderlampe verglichen, die Elektrizität habe die „Zeitalter der Wunder“ möglich gemacht. Auch die Menschen, die den so gepriesenen Provitan-Violettstrahlen-Generator anwenden, erfreuen sich ihrer „strahlenden Gesundheit“, die bei ihnen zu einer Aura führt, die in unserer heutigen Zeit den Außerirdischen in Hollywoods Spielfilmen vorbehalten ist. Mit der Zeit nahm der Wunderglaube an die Elektrizität ab und ein nüchterner Umgang mit den Erkenntnisses der Forschung ließ eine Vielzahl von medizinischen Geräten entstehen. Das Leben des Menschen hängt gerade in der Intensivmedizin von der Elektrizität ab. Durch eine lebensgroß dargestellte Figur eines intensiv verkabelten Menschen wird dieser Gedanke zum Bild.

Musik! Dieses Thema alleine wäre eine große Ausstellung wert. Was hat die Elektrizität nicht alles im Kosmos der Musik bewirkt! Anfangs noch neues Speicher- und Übertragungsmedium, wurde sie selbst zum Instrument künstlerischen Schaffens. Es entstanden sonderbare Musikinstrumente wie das Trautonium, auf dem fremdartige Klänge erzeugt werden konnten wie etwa das Geschrei in Hitchcocks „Die Vögel“. E-Musiker nahmen sich des neuen Klangmaterials an und komponierten neue Musik. Rockmusiker entwickelten neue Sounds und kreierten neue Kompositionen. Eine neue Generation von Musikern komponiert und konzipiert Musik am Computer. Wie läßt sich so etwas in einer Ausstellung darstellen? Eine Ausstellung ist schwerpunktmäßig immer etwas Visuelles, etwas fürs Auge. Wir konzipierten deshalb in intensiver Zusammenarbeit aller Beteiligten eine 10-teilige Hörcollage. In diesem Hörspiel sollten möglichst alle in der Abteilung Musik ausgestellten Instrumente und Übertragungsgeräte erklingen, eingebunden in eine spielerische Handlung, die auch den jeweils mitklingenden Zeitgeist verdeutlichen sollte.

Historiker denken bei ihrer Arbeit zwangsläufig mehr in Richtung Vergangenheit, auch Kunsthistoriker betrachten eher die Kunst vergangener Epochen und enden bei der zeitgenössischen Kunst. Da der Designer kein Experte auf dem Spezialgebiet ist, das er thematisiert, stellt er sich auch die einfache Frage, was ihn selbst, als Laien, an dem Thema interessiert und ob er Antworten auch in der Ausstellung vorfindet. Für Designer, die nicht nur historische Ausstellungsprojekte umsetzen und visualisieren, sondern auch an zukünftigen Produktentwicklungen und Kommunikationsprozessen teilnehmen, ist dieser Aspekt besonders spannend.

Ausstellungen und Museen sind höchst kommunikative Medien. Nur dort kommen Menschen so intensiv mit immer wieder neuen Themen und Menschen in Kontakt. Warum also nicht die Menschen fragen, was sie von diesem oder jenem Thema halten, was sie wünschen und erwarten? Warum sie nicht zum Gespräch herausfordern? Ein Museum, das diesen Aspekt bedenkt, wird seinen Blick auch in die Zukunft richten und zu einer Art Zukunftswerkstatt werden. An keinem Ort nämlich ist so viel historisches Wissen, so viel Dokumentation über menschliches Leben in vielen Epochen versammelt.
Für die Ausstellung „Die elektrisierte Gesellschaft“ schlugen die Gestalter deshalb vor, den historischen Rahmen um ein Zukunftsforum zu erweitern. Dieses könnte über heutige und zukünftige Energiequellen informieren. Ein Forum, in dem der Besucher die Möglichkeit hat, sich Gedanken über die Gewinnung von Elektrizität und seinen eigenen Umgang mit ihr zu machen. Atomenergie ist dabei ein wesentliches Stichwort. Eine Ausstellung zu dem Thema Elektrizität ohne dieses Stichwort, ohne Begriffe wie alternative Energien, wäre schlichtweg undenkbar und politisch falsch. Es ist das Befriedigende an der Zusammenarbeit mit dem Badischen Landesmuseum, daß gerade solche Anregungen und Kritikpunkte immer wieder möglich sind und umgesetzt werden. Dies gilt auch für die Bereitschaft des Badenwerks, sich der Publikumsmeinung zu stellen und diesen Dialog zu führen.

Nach der Entwicklung der Einzelthemen und der Entwicklung von Bildideen begann die Suche nach der optimalen Vernetzung der Themen in der Ausstellungsarchitektur. Die Designer entwickelten den Raumplan so, daß die Straße entlang der linken Außenseite des Raumes führt. Ein Z-förmiger Weg – als Assoziation zum Z- förmigen Zeichen „Vorsicht Hochspannung“ – führt an den weiteren Themen der Ausstellung vorbei. Die Ausstellung selbst wird aufgebaut aus dem vorhandenen Stellwandsystem des Badischen Landesmuseums. Verschiedene Sondereinbauten, die allesamt möglichst kostengünstig hergestellt werden mußten, ergänzen dieses Ausstellungssystem.


Erschienen in:
Gisela Grasmück/Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hg.), Die elektrisierte Gesellschaft. Ausstellung des Badischen Landesmuseums in Zusammenarbeit mit dem Badenwerk aus Anlass des 75jährigen Jubiläums, 6. Juli bis 13. Oktober 1996. Karlsruhe 1996.